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Rückblick auf neun Jahre Flüchtlingssozialarbeit. Arno Ban und Marion Falkenstein im Gespräch.
Das Foto entstand 2017. Arno Ban und Marion Falkenstein stehen im Haus am Weiher in Altshausen vor ihrem Büro.
Arno Ban: Im Januar 2016 starteten wir als Flüchtlingssozialarbeiter und Flüchtlingssozialarbeiterin mit unserer Arbeit am DORNAHOF. Zunächst umfasste der Wirkungskreis die Gemeinde Altshausen, im Oktober 2016 kam dann der komplette Gemeindeverwaltungsverband Altshausen dazu. Von Anfang an unterstützte das Haus Württemberg unsere Arbeit mit einer 0,5 Stelle. Am Anfang war höchste Flexibilität gefragt, da erst Strukturen und Netzwerke aufgebaut werden mussten. An was erinnerst du dich aus der ersten Zeit besonders, Marion?
Marion Falkenstein: Wir hatten den großen Vorteil, dass es einen Helferkreis von rund 150 Menschen gab, der schon viel Vorarbeit geleistet hatte. Mit diesem konnten wir sehr eng zusammenarbeiten. Geflüchtete Menschen kamen in dieser ersten Zeit vor allem aus Syrien und aus afrikanischen Staaten (hier allen voran Gambia und Nigeria). Es ging darum, Menschen das Ankommen zu erleichtern und Wege zum deutschen Asylverfahren zu ebnen. Gleichzeitig bestand unsere Arbeit darin, Sprachkurse mit ehrenamtlich Unterstützenden zu koordinieren und insgesamt einen Lernprozess zwischen Neuankömmlingen und Bevölkerung zu begleiten.
Arno Ban: Lernprozess ist ein gutes Stichwort. Um diesen zu erleichtern, haben wir ja auch von Anfang an unterschiedlichste Projekte ins Leben gerufen, um die Menschen auf entkrampfte Weise zusammenzubringen. Wir haben begonnen mit Kinder- und Familienausflügen. Dann sind wir vor Ort immer präsenter geworden und haben uns auch kulturellen Themen zugewandt. Dabei konnten wir dann auch die Bevölkerung gut mit integrieren. Hier erhielten wir Unterstützung von vielen freiwilligen Helfern und auch durch vom Land Baden-Württemberg geförderte Projekte wie Gemeinsam in Vielfalt III und Gemeinsam in Vielfalt IV.
Marion Falkenstein: Dahinter steckte eine Menge Vernetzungsarbeit. Aber die Arbeit hat sich bei jedem Projekt gelohnt. Ein riesiges Projekt war beispielsweise 2021 das interkulturelle Koch- und Backprojekt „Kulinarische Begegnungen“. Das Motto lautete kochen und backen, reden und verstehen. Hierzu wurden viele Veranstaltungen digital und in Präsenz veranstaltet. Der Höhepunkt war das „Picknick der Kulturen“ auf dem Marktplatz in Altshausen mit einem breiten kulinarischen Angebot und unzähligen Begegnungen. Aber auch davor waren wir sehr aktiv. 2020 beteiligten wir uns an der Kunstaktion „Stummer Stuhl“ die gegen Rassismus in Deutschland und an den EU-Außengrenzen stattfand. Und 2019 stellten wir die Ausstellung „An(ge)kommen. Augenblicke. Begegnungen. Geschichte.“ auf die Beine. Das wäre ohne die Zusammenarbeit mit dem Forum der Kulturen in Stuttgart im Rahmen des Förderprogramms „Gemeinsam in Vielfalt III“ der Landesregierung Baden-Württemberg, welches im Rahmen des Pakts für Integration mit den Kommunen durchgeführt wurde, so nicht möglich gewesen. Und besonders erinnere ich mich auch an die Buchvorstellung „Meine traurige Heimat war das schönste Land der Welt. Jetzt ist es das Unglücklichste.“ Das war 2018. Geflüchtete erzählten von Syrien. Aufgezeichnet wurden die Geschichten von Katrin Seglitz.
Arno Ban: Für die Förderprogramme waren wir sehr dankbar. Ein weiterer großer Teil unserer Arbeit bestand auch immer darin, uns mit unserer Beratung und Betreuung an die sich verändernden politischen Rahmenbedingungen anzupassen. Auch die Zeit für Asylverfahren verkürzte sich sukzessive. So änderte sich die Situation für Menschen, die mittlerweile schon länger in Deutschland waren. Nach spätestens zwei Jahren Aufenthalt in der vorläufigen Unterbringung oder nach abgeschlossenen Asylverfahren kommen Menschen in die Anschlussunterbringung. Entsprechend werden Geflüchtete vom Landratsamt meist in andere Gemeinden im Landkreis verlegt. Im Falle der vorläufigen Unterbringung „Haus am Weiher“ in Altshausen änderte sich nur die Zuständigkeit. Die Menschen konnten bleiben und waren von nun an in einer Anschlussunterbringung, die seit September 2017 von der Gemeinde Altshausen verantwortet wird.
Marion Falkenstein: Apropos 2017. Seit diesem Jahr stellt das Land mit dem „Pakt für Integration“ den Kommunen Fördermittel für konkrete Integrationsförderprogramme und -maßnahmen zur Verfügung. Kernstück des Paktes ist das Integrationsmanagement. Seit dieser Zeit sind wir im Auftrag des GVV´s tätig. Zu den Fördermitteln des Landes kommen auch noch Zuschüsse der Gemeinden zur Finanzierung unserer Stellen hinzu.
Arno Ban: Ab Januar 2018 bekamen wir für zwei Jahre noch ein zusätzliches Auftragsfeld, den Bruggenhof in Wilhelmsdorf, dort waren überwiegend alleinerziehende Frauen aus dem Raum Afrika untergebracht. Gemeinsam mit dem sehr aktiven Helferkreis haben wir vor Ort wieder Strukturen und Vernetzungen aufgebaut. Diese Personengruppe hatte noch andere Themen im Gepäck. Hier ging es zum Beispiel auch um kulturelle Unterschiede bezüglich der Kindererziehung. Mit einem Projekt in Kooperation mit dem Familientreff in Wilhelmsdorf sind wir gemeinsam den Fragen nachgegangen: Was brauchen die Kinder? Was brauchen die Mütter?
Marion Falkenstein: Ja, ich erinnere mich. Die gute Versorgung der vielen kleinen Kinder war sehr herausfordernd. Eine weitere neue Personengruppe kam mit Kriegsbeginn in der Ukraine in unsere Beratungsstelle. Die Ukrainer müssen keine Asylanträge stellen, um eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Somit gab es wieder neue Vorgehensweisen, auf die wir uns einstellen mussten. Im Gemeindeverwaltungsverband Altshausen haben wir im Jahr 2023 insgesamt 230 Geflüchtete betreut. Die meisten Klienten kommen inzwischen aus der Ukraine.
Arno Ban: Nun endet unsere Tätigkeit zum Jahresende und ab Januar 2025 übernimmt das Landratsamt die Aufgaben des Integrationsmanagement. Es waren bewegende neun Jahre. Die gesellschaftlichen Herausforderungen und wechselnden Strukturen haben stets viel Flexibilität von uns gefordert. Dabei war es uns wichtig, auf den einzelnen Menschen zu schauen und bedarfsorientiert und unbürokratisch zu unterstützen. Wir sind sehr dankbar, dass wir diese Zeit so prägend mitgestalten durften.
Marion Falkenstein: Es war uns stets ein Anliegen, insbesondere durch die Projekte, Begegnungsräume zu schaffen, wo Toleranz wachsen kann, unabhängig von Herkunft, Religion oder politischer Einstellung. Wir sind zuversichtlich, dass Begegnungen auch in Zukunft, in welcher Form auch immer, stattfinden werden.